, Nik Dömer und Stefan Wyss, AZ

Davide Giampà: «Wechseln? Da käme nur Aarau in Frage» – Marco Thaler: «Einen Stürmer mit dieser Qualität hat jeder Klub gerne»

Sie machten zusammen die Matura und sind seit Jahren dicke Freunde. Heute duellieren sie sich im Derby: Aarau-Verteidiger Marco Thaler und Baden-Stürmer Davide Giampà. Im Vorfeld sprachen sie im Interview über ihre Freundschaft, die Bedeutung dieses dritten Derbys der Saison und über die Möglichkeit, vielleicht doch einmal im gleichen Profi-Team zu spielen.

Treffpunkt Brügglifeld. Vor dem Derby sind wir mit Aarau-Abwehrchef Marco Thaler und Baden-Topskorer Davide Giampà zum Gespräch verabredet. Vor dem Interview gibt es ein Foto-Shooting auf dem Rasen. Ein Kopfballduell in schwarzen Jeans und Shirt soll es werden. Weil die Sneakers der beiden leuchtend weiss strahlen, sucht Thaler auf dem schmierigen Rasen eine trockene Stelle. Es sollen ja weder die Schuhe noch das Derby-Geläuf ruiniert werden. Platzwart Gil läuft gestikulierend herbei, gibt aber doch seinen Segen zum gestellten Bild.

Danach geht es zum Gespräch in die VIP-Lounge, das Herz des FCA-Vereinslebens. Es ist das erste Heimspiel für Thaler in dieser Derby-Woche. Doch auch Giampà fühlt sich hier nicht so richtig fremd. Schliesslich hat er im Brügglifeld die Nachwuchsstufen durchlaufen. Und sowieso: Dass wir uns in der Heimstätte des FC Aarau treffen, ist nichts anderes als ausgleichende Gerechtigkeit. Als wir uns nämlich im Herbst zu einem Doppel-Interview mit den beiden Torhütern Marvin Hübel und Tim Spycher verabredeten, hiess es: Treffpunkt Stadion Esp.

Stichwort Stadion Esp: Herr Thaler, zuletzt gab es für den FC Aarau in Baden einen Derby-Sieg und Ihr guter Freund Davide Giampà hatte mit seinem Tor trotzdem noch ein persönliches Erfolgserlebnis. Ein perfektes Drehbuch?

Marco Thaler: Nein (lacht laut)! Das perfekte Drehbuch ist für mich, wenn der FC Aarau gewinnt und wir keinen Gegentreffer bekommen. Ich mag Davide sehr und schätze seine Künste als Stürmer, er weiss das auch, aber ich möchte ihn auf dem Platz als Gegner nicht jubeln sehen. Da denke ich nur an meinen Verein.

Hat es Sie in diesem Fall besonders geärgert, dass ihm im letzten Derby ein Tor gelungen ist?

Thaler: Der Treffer selbst nicht, aber was daraus entstand. Wir spielten bis zu seinem Gegentor sehr überzeugend, doch dann hat Davide mit seinem Kopfball das Publikum geweckt. Durch die Emotionen wurde es in der Schlussphase unnötig hektisch.

Herr Giampà, Sie haben eine grosse Verbundenheit mit dem FC Aarau. Sie kommen aus der Umgebung und haben einst im Nachwuchs gespielt. Schmecken Tore gegen Aarau besonders süss?

Giampà: Im Derby gegen Aarau zu treffen war schon ein ganz spezieller Moment. Da wurden viele Emotionen ausgelöst. Noch schöner wäre dieser Moment gewesen, wenn es dann am Ende auch einen Punktgewinn gegeben hätte.

Gegen den Schluss des letzten Derbys kam es nach einem Frustfoul von Bastien Conus zu einer grösseren Rangelei. Ist nun die Derby-Rivalität zwischen Aarau und Baden so richtig lanciert?

Thaler: Ich denke nicht, dass diese Aktion die Rivalität speziell eingeläutet hat. Dafür braucht es schon noch ein bisschen mehr. Das Foul war relativ grob, dass da Reaktionen kommen, ist normal.

Giampà: Auch gegen jeden anderen Gegner hätten wir uns nach einer solchen Grätsche für unseren Spieler stark gemacht. Eine Mannschaft ist wie eine Familie, da beschützt man sich. Und wenn die Stimmung dann noch so aufgeladen ist wie bei einem Derby, dann geht es sicherlich noch etwas emotionaler zu und her.

Vor dem letzten Derby stand der FC Aarau aufgrund der schwachen Hinrunde unter Druck, nun ist der Vorsprung auf Baden mit 13 Punkten deutlich grösser. Der Abstiegskampf ist weit entfernt, hat sich die Lage nun entspannt?

Thaler: Sicherlich waren wir im Januar unter Zugzwang. Aber wir stehen immer noch nicht gut da. Wir haben zu wenig Punkte auf dem Konto. Und die Rolle des FC Aarau hat sich im Derby auch nicht verändert. Wir sind der Favorit und jeder erwartet einen Sieg von uns.

Wie ist das eigentlich, wenn man auf dem Platz plötzlich einem sehr guten Freund gegenübersteht? Sie, Herr Thaler, betonten noch im letzten Jahr im Podcast «Stehplatz Brügglifeld», dass ordentlich aufeinander eingeprügelt wird.

Giampà: Dazu ist es eigentlich gar nicht gekommen. Das war aber auch ein wenig taktischer Natur, da wir Marcos Seite weniger beackert haben.

Thaler: Aber es gab schon ein paar lustige Momente. Kräftige und explosive Stürmer wie Davide muss man schon am Rande des Strafraums im Griff haben und da gehört dann auch ein bisschen Halten dazu. Für mich ist das eigentlich ganz normal, aber als ich das gegen Davide gemacht habe, mussten wir jeweils beide grinsen.

Giampà: So etwas kann man sich dann trotz emotionsgeladenem Derby nicht verkneifen. Zwischendurch fällt auch mal ein Spruch auf dem Platz.

Ihr kennt euch schon seit einer halben Ewigkeit. 2010 habt ihr beide noch im Aarauer Nachwuchs gespielt und in Aarau gemeinsam die Sportkanti besucht. Wie hat sich Ihre Freundschaft seither entwickelt?

Thaler: Unsere Wege haben sich zwar nach dem Schulabschluss getrennt, aber die Freundschaft hatte immer Bestand. Auch heute treffen wir uns noch regelmässig im Pub, um gemeinsam Champions League zu schauen. Ich denke, unsere Beziehung ist sehr vielschichtig, wir sind ja über die Jahre praktisch gemeinsam aufgewachsen.

Giampà: Ich schätze auch sehr, dass wir nicht nur über den Fussball, sondern auch über das Privatleben und den Berufsalltag sprechen können. Dafür hat Marco immer ein offenes Ohr, weil er sich auch für wirtschaftliche Themen interessiert.

Zurück zum Sport: Davide Giampà hat neun Tore auf dem Konto. So viel hat kein Stürmer beim FC Aarau erzielt. Würde Davide Giampà zum FCA passen?

Thaler: Seine neun Tore sind schon beachtlich, besonders wenn man sich seine Effizienz anschaut. Einen Stürmer mit dieser Qualität hat jeder Klub gerne bei sich. Zumal Davide ein umgänglicher Typ ist und sich in jede Mannschaft gut einfügen könnte.

Giampà: Ich werde in einem Monat 31 Jahre alt und stehe nebenbei als Immobilienmakler fest im Berufsleben. Wenn ein Angebot käme, müsste ich mir überlegen, was das für Auswirkungen auf meinen Job hätte. Aber klar, jetzt im Herbst der Karriere nochmals ein paar Jahre Profifussball zu spielen, klingt schon reizvoll.

Sie dürfen ja auch nicht naiv sein, ein Stürmer mit Ihren Statistiken wird im Sommer bestimmt Angebote erhalten.

Giampà: Für mich gibt es momentan nur den FC Baden. Alles andere blende ich aus, mir bringen meine Tore nichts, wenn wir am Ende absteigen. Dann habe ich mein Saisonziel nämlich verfehlt.

Und wenn Baden am Ende tatsächlich absteigt? Könnten Sie sich dann einen Transfer vorstellen, um weiterhin Challenge League zu spielen?

Giampà: Ich mache kein Geheimnis daraus, dass dann für mich eigentlich einzig der FC Aarau in Frage käme. Ein Wechsel zu einem anderen Verein wäre für mich beruflich und wegen des privaten Umfelds nicht geeignet. Es braucht für mich schon diese Wohlfühlfaktoren.

Thaler: Zumal du ja hier auch dein Profidebüt gegeben hast und in Aarau zur Schule gegangen bist.

Giampà: Absolut. Und ich durchlief auch die gesamte Nachwuchsabteilung des FC Aarau. Ich erinnere mich, wie ich als kleiner Junior mit Leibchen und Transparent durch die Stadt zog, als wir Stimmung machten für das neue Stadion im Torfeld. Das ist sicher 20 Jahre her.

Sie sind sogar familiär mit dem FC Aarau verbunden.

Giampà: Ja, meine Freundin ist die Tochter von Rolf Fringer. Als Meistertrainer ist er eine grosse Figur in der Geschichte des FC Aarau. Man sieht also: Es gibt schon diese Verbundenheit zum FCA. Aber ich möchte trotzdem betonen, dass es für mich im Falle eines Ligaerhalts mit Baden keinen Grund geben würde, zu wechseln.

Wir haben es eingangs davon gehabt, dass sich die Situation beim FC Aarau seit dem letzten Derby etwas entspannt hat. Bei Baden ist es genau umgekehrt.

Giampà: Wir haben schon eher die Pistole auf der Brust. Es geht für uns um jeden Punkt. Wir können uns nicht mehr viel erlauben, wissen aber auch, dass uns Aarau nichts schenken wird. Auch wenn es für sie gefühlt um fast nichts mehr geht, werden sie kaum der grosse Bruder sein wollen, der uns aus der Patsche hilft. Aber für uns ist im Moment eigentlich gar nicht relevant, ob wir gegen Aarau spielen oder gegen sonst einen Gegner. Wenn wir vor dem Spiel die Garderobe betreten, muss es sein, wie wenn uns ein Final bevorsteht.

Wie sehr hilft es, dass ihr im letzten Spiel gegen Vaduz die Negativserie von vier Niederlagen mit einem 1:1 beenden konntet?

Giampà: Wir nehmen im Moment jeden Punkt gerne, aber man muss schon auch sagen, dass es gegen Vaduz zwei verlorene Punkte waren. Doch klar, die Leistungssteigerung war da, das tat gut. Es sind nur kleine Rädchen, die noch aufeinander abgestimmt werden müssen. Es fehlt uns nicht viel, wir haben bewiesen, dass die Qualität in der Mannschaft vorhanden ist. Wir dürfen uns aber auch nicht zu schade sein, den Ball einfach mal aus dem Stadion zu hauen. Wenn das einer wie Reto Ziegler vom FC Sion macht, dann dürfen wir in unserer Situation das auch. Jetzt wollen wir nach Aarau gehen und an die Leistung im Spiel gegen Vaduz anknüpfen. Wir wollen lästig und eklig sein.

Für den FC Aarau geht es gefühlt um nichts mehr: Stimmt diese Einschätzung?

Thaler: Wenn man die Medien verfolgt, die vielen Berichte über uns, dann bekommt man aber ein anderes Gefühl.

Um was geht es denn für den FC Aarau noch in den restlichen elf Spielen?

Thaler: Es geht für uns um die Entwicklung. Das versuche ich den Leuten schon lange einzutrichtern. Da waren wir vielleicht von Anfang an nicht gut in der Kommunikation. Im Sommer gab es Anpassungen im Kader, damit der Klub gesund wird. Im Winter gab es Anpassungen, damit wieder eine gewisse Ruhe hineinkommt.

Das sind die grundsätzlichen Punkte, die auch die Mittel- und Langfristigkeit des Klubs betreffen. Aber konkret, sportlich: Um was spielt der FCA von jetzt an bis zum Saisonende?

Thaler: Natürlich kann man sagen, dass es in der Tabelle nicht mehr wichtig ist. Doch wir sehen das nicht so. Sion und Thun sind weit weg, also wollen wir die Besten vom Rest sein. Wir müssen versuchen, jedes Spiel zu gewinnen. Und wenn wir diesen Willen nicht hinbekommen, dann sagt das eben auch etwas über den Charakter der Mannschaft aus. Jeder Spieler hat die Chance, den Entscheidungsträgern im Klub zu zeigen, was mit ihm möglich ist. Was der FC Aarau an ihm hat. Es wird einen Umbruch geben. Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen.

Die Situation beim FC Baden ist diesbezüglich gar nicht mal so anders.

Giampà: Für jeden einzelnen von uns sind die kommenden Wochen wie ein Casting. Die jungen Spieler haben die Möglichkeit, sich in der Challenge League einen Namen zu machen. Es geht für sie um eine Anschlussmöglichkeit in dieser Liga, falls Baden absteigt. Es geht aber auch darum, ein gutes Zeugnis zu erhalten, um im Falle eines Klassenerhalts in Baden weitermachen zu können. Diese Mentalität, dass es um alles oder nichts geht, die muss nicht nur für das Derby gelten, sondern auch für alle folgenden Partien.

Ist die Stimmung in der Kabine in der Derbywoche eigentlich speziell?

Giampà: Wir hatten ja seit dem Aufstieg viele Wechsel im Kader. Da muss man den Neuen schon klar machen, dass das Derby hier gross geschrieben wird und dass dieses Spiel nicht wie jedes andere ist.

Die ersten zwei Derbys waren eng. Was braucht es, damit Baden dieses Mal ein positives Resultat erzielt?

Giampà: In beiden Spielen war es so, dass wir kaum Eigenfehler machten...

Thaler: Du meinst, dass wir eure Eigenfehler einfach nicht ausgenutzt haben...

Giampà: Okay, aber die Gegentore fielen nicht nach Eigenfehlern von uns. Diese Quote tief zu halten, ist ein Schlüssel für den Erfolg. Und dann braucht es eine gewisse «Angefressenheit» und die Mentalität, den Sieg unbedingt zu wollen. Diese Einstellung braucht es von allen, auch von den Spielern auf der Ersatzbank. Alle müssen sich bewusst sein, dass es nichts Geileres gibt als einen Derbysieg – vor allem, wenn das Spiel noch in Aarau stattfindet. Diesen Sieg sind wir unseren Fans schuldig. Es gewinnt derjenige, der den Sieg mehr will. Und es kommt noch etwas Ungewöhnliches hinzu...

Und das wäre?

Giampà: Der Druck ist dieses Mal auf unserer Seite.

Thaler: Was? Hast du das Gefühl, dass wir keinen Druck haben?

Einigen wir uns darauf, dass in diesem Derby beide Druck haben. Für einmal gilt nicht: Aarau muss, Baden darf gewinnen.

Giampà: Also wir müssen auf jeden Fall gewinnen. Und das tönt schon mal anders als in den vorangegangenen Derbys. Es steht definitiv viel auf dem Spiel, aber das macht die Vorfreude umso grösser.

Thaler: Am Ende spielt man doch Fussball genau wegen solcher Spiele. Diese Emotionen braucht es. Wer damit nichts anfangen kann, der soll in die 4. Liga gehen. Dort gibt es ein gemütliches Zusammensein. Aber ich liebe diese Emotionen, das Siegesgefühl nach dem Spiel, wenn der Song «Sweet Caroline» gespielt wird. Das sind diese Dinge, die ich versuche, den Mitspielern einzuimpfen. Auch für uns gilt: Wir sind den Fans diesen Derbysieg schuldig. Es wäre ein Horror, nach einer Derby-Niederlage den Fans gegenübertreten zu müssen.

Sie haben das ja schon einmal erlebt, 2017, beim 0:3 im Brügglifeld gegen Wohlen.

Thaler: Damals war ich verletzt, aber das war trotzdem das Schlimmste. Es war fürchterlich, zu sehen, wie die anderen im Brügglifeld einen Derbysieg feiern. Da dreht man durch. Aber auf dem Platz habe ich weder gegen Baden noch gegen Wohlen je ein Derby verloren. So soll es weitergehen.